Folge 14
Dolmetscherinnen zwischen den Fronten: Tamara Subrizkaja (re.) und ihre Freundin Natascha übersetzten ins Deutsche und Russische, was sich Sieger und Besiegte 1945 zu sagen hatten.
© Archiv Museum

Folge 14

Stadtgeschichte(n) Folge 14:
Tamara schreibt nicht mehr

Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen und der Einteilung in Besatzungszonen hielten am 2. Juli 1945 sowjetische Soldaten in Klingenthal Einzug.

Da war die junge Ukrainerin Tamara Subrizkaja, Jahrgang 1923, schon da. Sie kam bereits Anfang 1945 mit einer Flüchtlingsfamilie namens Goebel aus Oppeln/ Schlesien in die Stadt am Aschberg. 1943 war sie von den Deutschen aus ihrer Heimat in der Ukraine als Zwangsarbeiterin in das Konzentrationslager Groß-Rosen/ Niederschlesien verschleppt worden und wurde dann als Kindermädchen der Familie eines Arztes zur Seite gestellt. Diese wanderte kurz nach Kriegsende von Klingenthal in die USA aus. Tamara Subrizkaja beantragte deshalb bei den US-amerikanischen Besatzern ihre Rückkehr in die ukrainische Heimat, doch das verwehrte ihr die Militärkommandantur mit der Begründung, man würde sowieso bald abziehen und die sowjetischen Besatzer kämen. So war es dann auch tatsächlich und nach dem Ende ihrer Zeit als KZ-Insassin und Zwangsarbeiterin begann für Tamara Subrizkaja im Juli 1945 die Zeit als Dolmetscherin im Dienste der Sowjetunion in Klingenthal. Kommandant Kalinin, der im Hotel „Zum braunen Hirsch“ residierte, nutzte ihre fließenden Deutschkenntnisse. Während ihrer Arbeit lernte sie den Soldaten Alexander Kiseljow kennen und lieben, bereits zwei Monate später heirateten die beiden und Tamara war mit dem gemeinsamen Sohn schwanger. Bis 1946 blieb die kleine Familie in Klingenthal, dann wurde Tamaras Mann nach Reichenbach versetzt, 1948 schließlich zurück in die Westukraine nach Stanislaw, das spätere Iwano-Frankowsk, wo Tamara Kiseljowa für ihr ganzes Leben wohnen blieb.

…Das alles hat Tamara Kiseljowa in einem detaillierten Brief aufgeschrieben, der im Jahr 2001 an den „Bürgermeister der Stadt Klingenthal“ gerichtet war. Als ehemalige deportierte Zwangsarbeiterin erhoffte sie sich eine schriftliche Bestätigung ihres Schicksals um eine Entschädigungszahlung zu erwirken. Aus der jungen Dolmetscherin war eine alte Frau geworden, eine Witwe von Krankheit und Sorgen geplagt, fehlte ihr das Geld für Medikamente, denn die Ukraine war von Inflation und politischer Krise ergriffen. Mehr als 30 Jahre hatte sie als Deutschlehrerin gearbeitet, nun reichte die Rente nicht zum Leben und Tamara hoffte nicht nur auf die amtliche Hilfe des Bürgermeisters sondern suchte auch Kontakt zu Bekannten und Freunden in Klingenthal. Die Briefe klingen niemals fordernd, aber verzweifelt bittend und sind voller guter Wünsche für Freunde und Hoffnung auf bessere Zeiten. Klingenthaler Bürger erinnerten sich an die freundliche Ukrainerin von damals und schickten ihr fortan Hilfspakete und linderten damit nicht nur wirtschaftliche sondern auch seelische Not.

Wie wäre wohl das Leben der Tamara Subrizkaja ohne den Zweiten Weltkrieg und die Deportation durch die Deutschen verlaufen? Wahrscheinlich wäre sie in einer friedlichen Welt eine Ärztin geworden, denn kurz vor ihrer Verschleppung aus der Ukraine hatte sie ein Medizinstudium aufgenommen. Der Aufenthalt in Klingenthal während der letzten Monate des Krieges aber rettete möglicherweise ihr Leben, denn als die Ostfront das schlesische Oppeln erreichte, wurden große Teil der Stadt zerstört, die Bevölkerung war zuvor mehrheitlich nach Breslau evakuiert worden, wo das Inferno noch bis zur deutschen Kapitulation Anfang Mai andauerte und zehntausenden Zivilisten und Soldaten auf beiden Seiten das Leben kostete. In Klingenthal dagegen war das Kriegsende vergleichsweise ruhig verlaufen. Hier hatte die junge Frau schließlich auch ihren Mann kennengelernt und eine Familie gegründet. An welche Station ihres Lebens sonst sollte die Ukrainerin also so gefühlvolle Erinnerungen bewahren als an Klingenthal. Am Ende ihres Lebens scheinen die Briefwechsel mit Klingenthaler Bekannten aus ihrer Vergangenheit der einzige Lebensinhalt geblieben zu sein. Einsam und von Krankheit schwer gezeichnet, schrieb Tamara Kiseljowa ein letztes Mal im Jahr 2008. Wahrscheinlich ist sie gestorben, im Musik- und Wintersportmuseum bleibt die Erinnerung an die Dolmetscherin vom „Braunen Hirsch“ bewahrt.(XB)

Brauner Hirsch
Der „Braune Hirsch“ nach seiner Besatzung 1945 in heller Beleuchtung und mit Sowjetstern. Beide Fotos wurden von Kurt Jobst/ Brunndöbra aufgenommen, Tamara Kiseljowa sendete diese als Reproduktionen in ihren Briefen nach Klingenthal.

 

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